Sonnenschutz als Herrschafts- und Statussymbol im antiken Rom

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Sonnenschutz als Herrschafts- und Statussymbol im antiken Rom

Wir betrachten ihn aus den verschiedensten Blickwinkeln – als Designobjekt, als energiesparendes Element oder als reinen funktionalen Gegenstand: den Sonnenschutz in seinen verschiedensten Ausführungen.
Dabei existiert eine weitaus tieferliegende Dimension, die sich in seiner langen Geschichte und in der Demonstration von politischer Macht sowie persönlichem Prestige in der Öffentlichkeit einbettet.

Zeichen und Symbole in der Antike

Unser Weg führt zurück zu den Anfängen des Sonnenschutzes – in die Antike. Denn besonders in dieser Epoche haben sich die Menschen stark über Zeichen und Symbole ausgedrückt, die ihren individuellen Status in der Gesellschaft darstellten. Die Schriftlichkeit war noch lange nicht so verbreitet wie heute und daher fungierten in den damaligen Gesellschaften große öffentliche Demonstrationen, wie beispielsweise Statuen oder Bauwerke, als Marker für das Prestige und den damit verbundenen Einfluss des Einzelnen. Bereits die ägyptischen Pharaonen und die altorientalischen Könige der Assyrer und Babylonier des 2. Jahrtausends vor Christi Geburt nutzten große aufgespannte und bemalte Stofftücher, die nicht nur vor der Sonne schützen, sondern auch die herrscherliche Macht demonstrieren sollten.

Sonnenschutz im alten Orient
Denn welche Macht ist größer als die, welche die Sonne bedecken kann? Von Anfang an wird Sonnenschutz daher als Form eines Prestigeguts verstanden, denn sein Einsatz verschafft und untermauert das öffentliche Ansehen. Im klassischen Griechenland des 5.-4. Jahrhunderts wurden unter dem Terminus (παραπέτασμα – parapétasma) Tuchvorhänge und große Stoffe, Sonnensegel gleich, bezeichnet, die für private Wohnungen genutzt oder vor Tempeln aufgestellt wurden.

Sonnensegel im antiken Rom

Doch für eine Gesellschaft liegen uns die meisten schriftlichen und archäologischen Quellen für die Verwendung des Sonnenschutzes vor: Das antike Rom. Dort wurde unter dem Wort velum, was eigentlich nur Tuch bedeutet, Sonnenschutz für private und öffentliche Einrichtungen wie Tempel oder Foren verstanden. Speziell jedoch für die öffentlichen Spiele, beispielsweise Gladiatorenkämpfe, wurden Sonnensegel benutzt und hießen dort velarium. Dafür besitzen wir viele archäologische Funde und inschriftliche Zeugnisse. Doch nicht nur im flavischen Amphitheater, besser bekannt als Colosseum, oder anderen stadtrömischen Arenen war der Sonnenschutz verbreitet.

Masthalterungen für Sonnensegel in der Antike Bauliche Überreste und Hinweise lassen sich im ganzen italischen Raum und dem Römischen Reich finden: beispielsweise Pompeji oder Nîmes. Noch heute sind die Masthalterungen bzw. Mastlöcher erhalten, mit denen die Sonnensegel gehalten wurden (siehe Foto). Der Ausspruch vela erunt – es wird Sonnensegel geben (wörtlich: es werden Tücher [da] sein) – war eine Information für die Zuschauer, dass sie in der Arena mit Schatten rechnen konnten. Dies erhöhte für den Veranstalter der Spiele die Chance, ein großes Publikum zu erwarten, das gleichsam seine potentiell erfolgreiche Aufführung mit Beifall quittieren konnte.
Durch diese öffentlich entgegengebrachte Würdigung stieg das öffentliche Ansehen des Veranstalters. Diese öffentlichen Spiele (ludi genannt) wurden zumeist von römischen Senatoren oder Kaisern abgehalten. Der gewonnene Ruhm diente daher zur Manifestierung oder zum Ausbau der persönlichen Stellung bzw. der politischen Macht. Besonders Senatoren konnten damit ihren Anspruch untermauern, die Karriereleiter voranzuschreiten und höhere Staatsämter zu begleiten. Den Kaisern wiederum war es damit möglich, ihre Beliebtheit in der Bevölkerung abzulesen und ihre herausgehobene Position in der Gesellschaft deutlich zu machen. Der Senator Quintus Lutatius Catulus (gest. ca. 62–60 v. Chr.) soll als erster Römer vela (Mehrzahl von velum) im Jahre 69 v. Chr. genutzt haben, als er den neugebauten Jupiter-Tempel auf dem Capitol, einem der sieben Hügel Roms mit immenser politischer und sakraler Bedeutung, einweihte (Amm. 14, 6, 25; Plin. nat. hist. 19, 6, 23–24 und Val. Max. 2, 4, 6).¹
Diese Vorrichtung musste gleichsam großen Eindruck gemacht haben; immerhin wissen wir bis heute seinen Namen.

Blick zum Jupiter-Tempel auf dem Capitol

Die römischen Herrscher und der Sonnenschutz

Rekonstruktion des Velariums am Kolosseum Es ist daher nicht verwunderlich, dass die römischen Kaiser den Sonnenschutz später gleichsam verwendet haben. Die römischen Geschichtsschreiber Suetonius (ca. 70-122 n. Chr.) und Cassius Dio (ca. 155-235 n. Chr.) belegen mit zahlreichen Beispielen die Verwendung des Sonnenschutzes durch die Herrscher des Imperium Romanum. So soll der Diktator (und kein Kaiser!) Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) seidene Sonnensegel benutzt haben, um seinen hohen Status öffentlich anzuzeigen (Cass. Dio 43, 24, 2). Weiterhin existieren Belege für die Herrscher Caligula (12-41 n. Chr.), Nero (37–68 n. Chr.) und Commodus (161-192 n. Chr.). Interessant ist hierbei, dass die Sonnensegel bei allen erwähnten Kaisern als Beispiele für ihre angeblich schlechte Regierungsweise genutzt werden. Caligula etwa soll die Sonnensegel extra zurückgezogen haben, damit die Zuschauer Hitze erleiden (Suet. Cal. 26, 5) und Nero soll diese mit der kaiserlichen Farbe des Purpurs bemalt sowie sein Konterfei daraufgesetzt haben (Cass. Dio 63, 6, 2). – Beispiele für Grausamkeit und überbordende Selbstdarstellung.
Die Brutalität des Commodus – so die Aussage einer weiteren Quelle neben den vorgestellten Autoren – soll sich derart ausgedrückt haben, dass er der Mannschaft, welche für die Bedienung der vela abgestellt wurde, befahl, unter den Zuschauern ein Blutbad anzurichten (SHA, Commodus 15, 6). Caesar soll schließlich mit seinen seidenen Sonnensegeln seine Verschwendungssucht unter Beweis gestellt haben.
Diese Anekdoten wurden hierbei jedoch stets als Untermauerung für die Taten der als negativ bewerteten Kaiser, Caligula, Commodus und Nero, oder für einen von den römischen Sitten abweichenden Lebensstil – wie bei Caesar – durch die Geschichtsschreiber genutzt. Diese haben sich durch normabweichende oder ungewohnt autokratische Herrschaftsstile bei diesen Autoren unbeliebt gemacht, welche allesamt aus der aristokratischen Sphäre der Senatoren stammten und durch das Kaisertum an Macht eingebüßt hatten. Dennoch lässt sich aus diesen „Klatschgeschichten“ ein wahrer Kern herauslesen: Sonnenschutz war immer existent und diente als Symbol der Herrschaft und des Status in der Öffentlichkeit.
Bei Commodus erfahren wir dabei auch noch ein Detail über die vela: Die Männer seines blutigen Auftrags waren für ihre Steuerung zuständig. Der Sonnenschutz im Colosseum oder in anderen Arenen musste also von einer großen Zahl an Männern auf- und zugezogen werden. Andere technische Möglichkeiten waren damals nicht bekannt. Für das Colosseum im Rom wurde dafür eine Abteilung der kaiserlichen Kriegsmarine eingesetzt, wie aus der Geschichte um Commodus hervorgeht. Die symbolisch aufgeladene Verwendung des Sonnenschutzes zieht sich durch die gesamte Kaiserzeit und wird daher selbstverständlich nicht nur von den „schlechten Kaisern“ (mali principes) verwendet. So lassen sich beispielsweise auch Nachweise für vela in den Werken des römischen Dichters Ovid (43 v. Chr.-17 n. Chr.) finden, der unter dem berühmten römischen Kaiser Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) gewirkt hat (unter anderem Ov. ars 1, 103). Eine der letzten Nachrichten über die Verwendung der vela stammt aus der Zeit von Kaiser Constantin II. (316-340 n. Chr.), dessen Herrschaft in der Spätantike anzusetzen ist (Val. Max. 2, 4, 6).

Sonnenschutz nach der antiken Epoche

Mit der zunehmenden Christianisierung des Römischen Reiches verschwanden die teils brutalen Spiele in den Arenen und somit auch die Einsatzmöglichkeiten der Sonnensegel. Doch der Sonnenschutz blieb der Geschichte erhalten. Er wurde in kleinerer Form auch im Mittelalter weiterhin genutzt, um hohe Persönlichkeiten bei öffentlichen Empfängen vor der Sonne zu bedecken. Beispielsweise in Form von Baldachinen bei herrscherlichen Einzügen in große Städte.
Also, wenn Sie das nächste Mal beispielsweise ein Sonnensegel aufspannen, dann denken Sie daran, dass Sie damit ein Stück Geschichte imitieren und auf den Spuren großer Persönlichkeiten der Antike wandeln.

Autor:
Christopher Decker M.A.
(Doktorand der Alten Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München)

Zu den Sonnensegeln

Abkürzungen
Amm. = Ammianus Marcellinus
Cass. Dio. = Cassius Dio
Ov. ars. = Ovid, Ars amatoria
Plin. nat. hist. = Plinius, Naturalis Historiae
SHA = Scriptores Historia Augusta (Die Schriftsteller der Historia Augusta)
Suet. Cal. = Suetonius, Abschnitt Caligula
Val. Max. = Valerius Maximus

Weiterführende Literatur
Chapot, Victor, Le Dictionnaire des Antiquités Grecques et Romaines Bd. 5: T-Z, hg. von Charles Daremberg und Edmond Saglio, Graz 1969 (ND), 671-677, s.v. velum.

Graefe, Rainer, Vela erunt: Die Zeltdächer der römischen Theater und ähnlicher Anlagen 2 Bde., Mainz am Rhein 1979.

Hildebrandt, Berit, Seide als Prestigegut in der Antike, in: Der Wert der Dinge – Güter im Prestigediskurs. »Formen von Prestige in Kulturen des Altertums«. Graduiertenkolleg der DFG an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Münchner Studien zur Alten Welt Bd. 6), München, 2009, S. 183–240, bes. 204f.


Navarre, O., Le Dictionnaire des Antiquités Grecques et Romaines Bd. 5: T-Z, hg. von Charles Daremberg und Edmond Saglio, Graz 1969 (ND), 677–680, s.v. velum et velarium.

Und wer sich an die antiken Quellen heranwagen möchte:

Dio, Cassius, Historia Romana/Römische Geschichte 5 Bde., hg. von Otto Veh, Berlin 22012.

Historia Augusta: Römische Herrschergestalten 1. Von Hadrianus bis Alexander Severus, hg. Ernst Hohl et. al., Zürich/München 1976.

Marcellinus, Ammianus, Res gestae/Römische Geschichte (Schriften und Quellen der alten Welt 21, 1–4), Berlin [u.a.] 1968–1971.

Maximus, Valerius, Facta et dicta memorabilia/Denkwürdige Taten und Worte, hg. von Ursula Blank-Sangmeister, Stuttgart 21998.

Ovidius Naso, Publius, Ars amatoria/Liebeskunst (Sammlung Tusculum), hg. von Niklas Holzberg, Berlin 52011.

Plinius Secundus, Gaius, Naturalis Historiae/Naturkunde 38 Bde. (Sammlung Tusculum), hg. von Roderich König et al., Düsseldorf/München [u.a.] 1973–2004.

Suetonius Tranquillus, Gaius, De vita Caesarum/Die Kaiserviten (Sammlung Tusculum). De viris illustribus/Berühmte Männer, hg. Hans Martinet, Berlin [u.a.] 2014.

Quellangaben Fotos und Grafiken:
Steinpoller, die an der östlichen Außenseite des römischen Kolosseums aufgestellt sind und vermutlich im technischen Zusammenhang mit dem Velarium stehen
Urheber: Rabax63
Linkhinweis: Wikipedia


Mögliche Rekonstruktion des Velariums am Kolosseum
Urheber: Sunspeanzler (abgeleitetes Werk von dalbera)
Linkhinweis: Wikipedia

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